Jenny Beyer ist Choreografin, Tänzerin und veranstaltet Offene Studios. Nun hat sie erneut mit ihrer 2006 gegründeten Initiative Sweet & Tender Collaborations zusammengefunden, um ab dem 19. Februar gemeinsam auf Kampnagel in Winterhude das „Zusammensein“ tänzerisch zu erforschen.
AlSTER Aktuell: Ihr neues Projekt läuft unter dem Titel „ATTEMPTS OF TOGETHERNESS“. Auch in Ihren anderen Arbeiten spielen Austausch und Kollaborationen eine zentrale Rolle.
JENNY BEYER: 2006 erhielt ich das danceweb-Stipendium in Wien, im Rahmen eines großen Tanzfestivals wo ich auf 60 Künstler*innen aus aller Welt traf. Diese Erfahrung prägte mich stark: Wir teilten ähnliche Fragen und Unsicherheiten, standen am Anfang unserer Karrieren und wussten nicht, wie wir mit Kunst Geld verdienen könnten. Wir entwickelten das Bedürfnis uns ehrlich über Sorgen und Wünsche auszutauschen. Am Ende organisierten wir ein Treffen, bei dem jeder Ideen und Angebote teilte. Daraus entstand „Sweet & Tender Collaborations“, das bis 2012 Austausch und Großzügigkeit in künstlerischen Projekten förderte. Ich erkannte, dass durch das Teilen von Ideen etwas entstehen kann, das allein nicht möglich wäre.

Nun versammeln Sie ca. 15 dieser Tänzer- und Performer*innen. Welche Veränderungen konnten Sie im Vergleich zu damals erkennen?
Wir sind alle älter geworden und haben seit 2012 individuelle Wege eingeschlagen – von Karriere und Familiengründung bis hin zu Pausen von der Kunst. Jetzt verspüren wir den Wunsch, aus diesen Wegen wieder Gemeinsamkeit zu schaffen. Ich selbst hinterfrage regelmäßig, was meine Kunst mit der Gesellschaft zu tun hat und warum ich Menschen damit begegnen möchte. Eine große Veränderung sehe ich in der heutigen Wertschätzung transnationaler Treffen, die durch ein stärkeres Bewusstsein für Ressourcen geprägt ist. Früher diskutierten wir außerdem viel über Hierarchien und Unabhängigkeit in der Kunstproduktion. Heute stehen gesellschaftliche Fragen im Mittelpunkt: Wie tragen wir zu einer bedrohten Welt bei? Wie schaffen wir Räume für friedliche Begegnungen und Brücken zwischen Unterschieden? Unser Projekt vereint Perspektiven aus allen Kontinenten, was unsere Arbeit bereichert.
Bei Ihren Auftritten steht jeder Abend für sich, was danach klingt, dass viel dem Zufall überlassen wird. Was macht diese Ungewissheit mit Ihnen?
Die Unvorhersehbarkeit macht mir manchmal Angst. Sie erfordert viel Vertrauen und ein Gespür für das, was im Moment entsteht. Obwohl ich als Choreografin auch präzise und handwerklich arbeite, brauche ich genau diese unberechenbaren Arbeitsformen, um mich weiterzuentwickeln. Kunst ist für mich ein Experimentierfeld, das Mut und Offenheit fürs Unbekannte verlangt.
In zehn Jahren Offene Studios hatte ich unzählige wertvolle Begegnungen. Es berührt mich immer wieder, wie Tanz Menschen als Ausdrucksmittel inspiriert und sie neugierig macht, künstlerische Prozesse mitzuerleben und mitzugestalten. Für mich sind die Offenen Studios ein heilender Raum, in dem Tanz Frieden und Zusammenhalt ermöglicht, besonders in Zeiten von Konflikten.

Sie sind auch die Choreographin und Probenleiterin für die Hamburger Band Deichkind.
Seit 2012 arbeite ich mit Deichkind zusammen, die von Anfang an großes Interesse hatten, zeitgenössischen Tanz und Körperarbeit in ihre Shows zu integrieren. Die größte Herausforderung lag darin, Tanz und Rappen zu verbinden. Besonders spannend finde ich die Experimentierfreude der Band, die verschiedene Kunstformen vereint. Für mich als Choreografin ist es einzigartig, für ein Publikum von bis zu 30.000 Menschen zu arbeiten – eine ganz andere Dynamik als auf den kleineren, intimeren Bühnen. Es erfordert eine komplexe Abstimmung zwischen Musik, Choreografie, Licht und Bühne. Dennoch suchen wir auch bei Deichkind nach Momenten, die Austausch und Begegnung mit dem Publikum ermöglichen.
Haben Sie bestimmte wünsche für die Zukunft der künstlerischen Szene im Tanz- und Performance-Bereich?
Ich wünsche mir ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung von Tanz und Performance in der Gesellschaft, besonders für ihre Rolle im Austausch und in der Verhandlung gesellschaftlicher Fragen. Dafür braucht es stabile Förderstrukturen, die neben Performances auch Forschung und Vermittlung unterstützen. Wichtig ist mir der Austausch zwischen Künstler*innen, auch generationsübergreifend, sowie Räume, die Kooperation statt Konkurrenz fördern. Künstler*innen sollten Neugier und Solidarität füreinander entwickeln können, um gemeinsam ihre Anliegen voranzubringen und ein Umfeld des Teilens zu schaffen. Luca Mohr