Sonntag, 3. November 2024
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    „Ich will wissen, was wirklich geschah“

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    Klaus Püschel, einer der bekanntesten Rechtsmediziner Deutschlands und Journalistin Bettina Mittelacher, entführen in ihrem neuen Buch in die spannende Arbeit der Rechtsmedizin und die schaurige Wahrheit der Moorlandschaft. Wir wollten mehr erfahren und sprachen mit dem Rechtsmediziner.

    Alster Magazin: Was hat Sie inspiriert, die Geschichte in einem Moor im Hamburger Westen anzusiedeln? 
    Prof. Dr. Klaus Püschel: Moorleichen haben eine spezielle Faszination. Es entsteht ein Gruseleffekt. Außerdem wird die Neugier angeregt. Hamburg ist von diversen Mooren umgeben, was gar nicht so viele wissen.

    Spannung und düstere Geheimnisse ziehen sich durch den Roman. Was ist Ihrer Meinung nach besonders fesselnd an dem Fall?
    Die Verknüpfung einer 20 Jahre zurückliegenden düsteren Straftat mit einer aktuellen spektakulären Mordserie. Die Arbeit von Rechtsmedizin und Kriminalpolizei wird sehr detailliert und logisch dargestellt.

    Wie haben Sie die beiden Charaktere – Kriminalhauptkommissarin Emma Claasen und Rechtsmediziner Kai Plathe – entwickelt?
    Der Rechtsmediziner Kai Plathe ist dem langjährigen Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf nachempfunden. Die Kriminalhauptkommissarin verkörpert viele Eigenschaften einer besonders klugen und dynamischen Ermittlerin und hat ähnliche persönliche Interessen wie die Buchautorin.

    Und welchen persönlichen und beruflichen Herausforderungen müssen sich die beiden im Laufe der Geschichte stellen? 
    Der Rechtsmediziner hat besonders viele und fachlich herausfordernde Sektionen mit den dazugehörigen Befundbeschreibungen zu leisten. Außerdem muss er seinen Arbeitsplatzwechsel (aus dem Ruhrgebiet nach Hamburg) realisieren. Für die Kommissarin kommt es zu einer extremen Häufung ungewöhnlicher und besonders spannender Tatorte, die mitunter eine Herausforderung darstellen. 

    Welche gesellschaftlichen Themen oder Fragen haben Sie in dem Buch aufgegriffen? Viele Mordfälle sind ja durchaus von einer hohen Komplexität gezeichnet. 
    Es geht uns speziell auch um die vielen persönlichen und familiären Probleme, die mit ungeklärten Vermisstenfällen einhergehen. Moderne kriminalistische Methoden der Kriminalpolizei und Rechtsmedizin sollen nachgezeichnet werden. Insbesondere geht es auch darum, aus den Fällen kriminalistische und gesellschaftliche Lehren zu ziehen.

    In Ihrem Buch wird eine Mordserie beschrieben, die Hamburg erschüttert. Sie selbst wurden von der Polizei Hamburg als Ehrenkomissar gekürt und sind als Rechtsmediziner tief im Geschehen drin. Wie haben Sie diese Erfahrung mit in die Geschichte einfließen lassen?
    Anders als in üblichen Kriminalfilmen oder Thrillern, bei denen die Autor*innen häufig wenig von der speziellen Materie Rechtsmedizin verstehen, konnte die Arbeit der Rechtsmedizin sehr realitätsnah dargestellt werden. Die Möglichkeiten und Grenzen der rechtsmedizinischen Methoden in Relation zur Arbeit der Polizei werden somit verständlicher.

    Gibt es in Hamburg Mordfälle, die sich charakteristisch wie ein roter Faden seit Jahren wiederholen?
    Die Untersuchung von Moorleichen gehört tatsächlich zu den wissenschaftlichen Schwerpunkten am Institut für Rechtsmedizin in Hamburg. Auch zu den Tötungsmethoden der Mordserie haben die Hamburger Rechtsmediziner viel geforscht.

    Seit einigen Jahren sind Sie selbst an Untersuchungen verschiedener archäologischer Funde beteiligt. Was macht diese Fälle so besonders?
    Es ist eine große wissenschaftliche Herausforderung, in den Knochen und Geweben aus einem archäologischen Kontext zu lesen wie in einem Buch. Moorleichen sind sozusagen Zeitzeugen aus längst vergangenen Epochen und rechtsmedizinische Untersuchungsmethoden an archäologischen Funden und Moorleichen dienen uns auch dazu, sogenannte Cold Cases aufzuklären. Das ist schon besonders und auch sehr spannend.

    Darüber hinaus haben Sie an Untersuchungen zahlreicher legendärer  Todesfälle mitgewirkt – gibt es einen Fall, der Ihnen persönlich besonders in Erinnerung geblieben ist?
    Ich würde keinen der von mir rechtsmedizinisch untersuchten Fälle besonders hervorheben. Das Spektrum ist legendär. Gerade in den letzten fünf Jahrzehnten: der St. Pauli Killer, Säurefassmörder, Fall Barschel, Fall Kachelmann, Heidemörder, Voodoo-Mord, die Mehlstaubexplosion, das Barkassenunglück, die RAF-Morde, NSU-Morde sowie Amok – nur um einige Beispiele zu nennen.

    Stetig mit dem Thema Tod in Berührung zu sein, stelle ich mir belastend vor. Kennen Sie innere Konflikte in Ihrer Arbeit und wenn ja, wie gehen Sie damit um? 
    Bei der Arbeit muss ich stets ganz sachlich, kühl bis ins Innere und objektiv sein. Persönliche Gefühle werden ausgeschaltet – und das gelingt mir auch. Durch die vielen negativen Themen in meinem Beruf werden bei mir privat dann tatsächlich vor allem positive, lebensbejahende Gedanken frei.

    Gibt es Erfahrungen aus Ihrer Arbeit, die Ihre Sicht auf Kriminalfälle besonders geprägt haben?
    Ich will wissen, was wirklich geschah. Es geht um Fakten, Fakten, Fakten. Für mich ist der Sachbeweis von zentraler Bedeutung.

    Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach die Rechtsmedizin in der heutigen Kriminalitätsaufklärung?
    Die Rechtsmedizin ist eine medizinische Hilfswissenschaft für die Kriminalist*innen und Jurist*innen. Für medizinische Sachbeweise und spurenkundliche Untersuchungen ist sie von zentraler Bedeutung.

    Nach Jahren in der Rechtsmedizin – wie fortschrittlich ist diese ihrer Meinung nach geworden?
    Die Rechtsmedizin hat in den letzten Jahrzehnten extreme Fortschritte gemacht. In der Morphologie sind heute bildgebende Methoden von zentraler Bedeutung (z. B. Computertomografie, Magnetresonanztomografie, Mikroskopie). In der Toxikologie kann man mittlerweile kleinste Substanzkonzentrationen nachweisen, sodass man praktisch jeden Vergiftungsfall exakt aufklären kann. Und bei den spurenkundlichen Untersuchungen ermöglicht die moderne DNA-Technik den Nachweis minimaler Spuren, z. B. die Identifizierung von einzelnen Haaren und Hautzellen.

    Und wie kam es dazu, dass Sie vom wissenschaftlichen Schreiben zu True-Crime- und Kriminalromanen gewechselt sind? 
    Es macht großen Spaß, wahre Kriminalfälle so aufzuarbeiten, dass auch medizinische Laien die Arbeit der Rechtsmedizin nachvollziehen können. Das ist für das Verständnis und die Akzeptanz des Fachs sehr wichtig. Die wissenschaftlichen Fakten müssen verständlich und populär aufgeschrieben werden. Im Roman erlaube ich mir weitgehend fantasievolle Ausführungen, wobei die zugrundeliegenden Fakten gut nachvollziehbar und in sich logisch zur Aufklärung des Falls kombiniert werden. Die Klärung und Überführung des Täters beruht nicht auf Intuition oder Zufall, sondern auf gezielter Interaktion sowie logischer Kombination von Fakten. 

    Ein Blick in die Zukunft: Was dürfen Leser*innen von dem Ermittlerduo erwarten – planen Sie weitere Bände?
    Wir werden versuchen, die Leser*innen auch zukünftig durch unsere spezielle „Marke“, sprich, ein fantasievoller Kriminalroman entwickelt sich aus True Crime, exakter Rechtsmedizin und sauberer kriminalistischer Arbeit, auch weiterhin zu fesseln. Das gilt auch für unseren Podcast beim Hamburger Abendblatt. Und für gewisse eigene Ermittlungen im Rahmen des Senior-Teams.  Hanna Odenwald

    BUCHTIPP:
    Totenmoor – Ich sehe dich 
    Mittelacher/Püschel, 
    Gmeiner Verlag, Taschenbuch, 
    416 Seiten, 17€

    Aufmacherbild: © Privat

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