In Jens Wawrczecks Buch „How to Hitchcock – Meine Reise durch das Hitchcock-Universum” schreibt der Autor aus Harvestehude über Hitchcocks Lebenswerk und seine eigene Faszination für ihn. Er hinterfragt Charaktere und Situationen, ohne je herabwürdigend zu werden. Er zeigt Parallelen auf, legt den Fokus aber nicht auf scharfe Gesellschaftskritik. Er schildert Beobachtungen detailliert und rutscht dennoch nicht ins allzu Sachliche ab. Wawrczecks Schreibweise ist niemals zu hochtrabend und doch samt kluger Formulierungen. Man taucht in seine Welt ab und gleichzeitig in jene, die Hitchcock uns hinterließ. Wir sprachen mit ihm.
ALSTER MAGAZIN: „Für mich sind Alfred Hitchcocks Filme der freie Fall ins Ungewisse. Oben ist unten. Nah ist fern. Hell ist Dunkel. Gerade das ist Teil des großen Vergnügens. That’s how to Hitchcock.” Magst du das genauer erläutern? Durch welche Elemente, die Hitchcock einbringt, ist das besonders zu erleben? Jens Wawrczeck: Hitchcocks Filme sind trügerisch. In „Der Mann, der zu viel wusste” oder „Das Fenster zum Hof” fesselt uns zunächst einmal die spannende Handlung. Doch das eigentlich Faszinierende sind die vielen Ebenen, die sich hinter den Stories verbergen – das Ergebnis eines brillanten Zusammenspiels von Farbe, Schnitt, Musik und einer genialen Besetzung. Hitchcock war nicht daran interessiert, die Realität so abzubilden, wie wir sie vor unserer Haustür erleben. Er schaffte Bilder, die unseren Träumen und Albträumen ähneln. Dieser spezielle Hitchcock-Look ist vielleicht auch der Grund, weshalb seine Filme so lange nachwirken. Und bis heute rätselhaft bleiben.
Seit du 12 Jahre alt bist, konsumierst du Hitchcocks Werke. Dabei beschreibst du dich als einen eher ängstlichen Menschen. Wie passt das zusammen? Hitchcock war selbst ein ängstlicher Mensch und setzte den Schrecken in seinen Filmen sehr verantwortungsvoll und niemals nur des billigen Effektes wegen ein. Wenn sich ein Angsthase wie ich, dem Nervenkitzel eines Films wie „Psycho” aussetzt, durchläuft er die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen. Angst, Mitgefühl, Empathie und die Fähigkeit, selbst hinter den düsteren Geschehnissen die komische Seite zu sehen. Hitchcocks Filme entlassen mich im Idealfall mutiger.
Mit welchen von Hitchcock kreierten Charakteren könntest du dich am ehesten identifizieren? Das ist eine schwierige Frage. Hitchcocks Filme funktionieren ja unter anderem, weil wir uns mit den meisten seiner Heldinnen und Helden so gut identifizieren können. Als pubertierender Teenager fand ich mich in der linkischen Protagonistin in „Rebecca” wieder, als Erwachsener eher in Henry Fonda in „Der falsche Mann”. Ich denke, selbst in einem der berühmtesten Serienmördern der Filmgeschichte – Norman Bates in „Psycho” – können wir uns teilweise wiedererkennen.
Die intensive Mutter-/Kind-Beziehung in Hitchcocks Geschichten ist sehr prägnant. Deine eigene Mutter beschreibst du als diszipliniert und alles andere als aggressiv. Was hast du aus eurer Verbindung speziell mitgenommen? Meine Mutter und ich teilten den gleichen Humor und die Begeisterung für Filme, Musik und Literatur. Sie verstand meine Leidenschaft für das Kino. Ich hoffe, ich habe etwas von ihrer Großzügigkeit und Gelassenheit geerbt. Sie war ein ausgesprochen toleranter Mensch.

Welchen Hitchcock-Film schaust du dir auch heute noch immer wieder gerne an und warum? Welche Aspekte faszinieren dich am meisten an seinen Geschichten? Es gibt tatsächlich kaum einen Film von Hitchcock, den ich mir nicht immer wieder mit Begeisterung anschaue. Je älter ich werde, desto mehr Details entdecke ich und desto mehr staune ich darüber, wie schlitzohrig er seine Kommentare über zwischenmenschliche Konflikte verpackt hat. Sieht man sich beispielsweise seinen Film „Verdacht” an, in dem Joan Fontaine fürchtet, von ihrem Ehemann ermordet zu werden, wird man sich überlegen, ob man wirklich heiraten sollte.
In den „Die drei ???”-Hörbüchern bist du als „Peter Shaw” zu hören. Wie war es, mit 15 Jahren so einen Job anzunehmen? Hatte die Arbeit Auswirkungen darauf, wie du Hitchcocks Geschichten betrachtest? Nahm es dem Ganzen etwas an der Magie oder änderte sich diesbezüglich nichts? Ich habe Hitchcocks Filme bereits vor den Hörspielen geliebt und empfand es als etwas Besonderes, dass ich plötzlich in einer Serie gelandet war, die Alfred Hitchcock zumindest in den ersten Folgen als Schutzheiligen vor dem Titel stehen hatte. Außerdem gab er uns Jung-Detektiven in den Hörspielen Tipps und vermittelte uns Fälle. Das war toll – auch wenn die Begegnungen mit ihm nur fiktiv waren. Aber all das hatte keinen Einfluss darauf, wie ich seine Filme erlebte. Die waren unantastbar.
In dem Buch „How to Hitchcock” taucht man nicht nur in Hitchcocks Welt, sondern auch in deine ein. Deine Schreibweise und Erzählungen erzeugen ein Gefühl der Nähe und es lässt sich fast ein unsichtbares Band zwischen dir und Hitchcock erahnen. Was war dir wichtig bei der Entstehung des Buches? Wie war die Erfahrung des Schreibprozesses? Als ich gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, meine Begeisterung für die Filme von Hitchcock zu Papier zu bringen, sagte ich zu. Jedoch unter der Bedingung, mein Buch möglichst persönlich schreiben zu dürfen. Ich bin weder Filmwissenschaftler noch Filmhistoriker, aber Hitchcocks Filme begleiten mich seit fast fünfzig Jahren. Vieles, was ich privat und beruflich erlebt habe, hatte direkt und indirekt damit zu tun. Mein Buch ist eine innere Reise und ich lade meine Leserschaft ein, mich zu begleiten. Ich habe mich beim Schreiben auf meine Intuition verlassen. Ich wusste, was ich unbedingt erzählen wollte – unter anderem, wie sehr mich mein eigener Kompass an verschiedene Drehorte von Hitchcocks Filmen gelotst hat – und daraus ergaben sich dann ganz organisch auch die anderen Themen des Buches. Mein Wunsch wäre es, mit „How to Hitchcock” Appetit zu machen auf das große Werk des unbestrittenen „Master of Suspense”. Hanna Odenwald

Jens Wawrczeck, How to Hitchcock, dtv, Taschenbuch, 256 Seiten, 13 Euro Mehr Infos zum Buch HIER
Alle Fotos: Jens Wawrczeck © christianhartmann.com