2004 gründete Erdtrud Mühlens das Netzwerk Nachbarschaft. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums gibt die Eppendorferin Einblicke in die Geschichte des Netzwerks und ihre Pläne für die Zukunft.
Netzwerk Nachbarschaft ist eine bundesweite Plattform, auf der nachbarschaftliche Themen ausgetauscht und ausgezeichnete Gemeinschafts-Projekte vorgestellt werden. „Eine Wohnumgebung, die von Anonymität und Kontaktarmut geprägt ist, bringt meist einenhohen Stresspegel mit sich und kann krank machen“, sagt Gründerin Erdtrud Mühlens, „In einer guten Nachbarschaft hat Vereinsamung dagegen keine Chance. Da kennt man sich und trifft sich regelmäßig, um ein besseres Miteinander der Generationen und gegenseitige Hilfen im Alltag zu organisieren. Das bringt für alle Beteiligten Entlastung und mehr Lebensqualität. Wenn Unterstützung benötigt wird, sind diese NachbarInnen als Erst-Helfer schnell zur Stelle.“ Sie selbst konnte das erleben, als sie 2004 nur knapp den Tsunami in Sri Lanka überlebte. Von der Hilfe überwältigt und den Ereignissen geprägt, kam in ihr der Wunsch auf, zu Handeln. Sie gründete das Netzwerk Nachbarschaft und fördert seitdem familienfreundliche, generationengerechte und multikulturelle Gemeinschaftsprojekte im Wohnumfeld.
„In den 20 Jahren unseres Bestehens hat der Zusammenhalt in Nachbarschaften deutlich zugenommen. Von anfangs 250 Nachbarschaften ist die Zahl der Projekte in unserer Community auf über 4.000 gewachsen. Dabei beobachten wir, dass aus spontanen Aktionen stabile Netzwerke erwachsen, in denen sich NachbarInnen untereinander zuverlässig unter die Arme greifen. Das spiegeln auch die Projekte und Ideen wieder, die wir auf unserer Plattform vorstellen“, sagt Erdtrud Mühlens, die sich auch in ihrer eigenen Nachbarschaft engagiert. „Quer durch alle Generationen helfen sich die Anwohnenden im Alltag, gründen Einkaufsgemeinschaften, Tauschbörsen, Yogagruppen und Kochgemeinschaften. Im Trend sind Patenschafts-Systeme und Zeittauschbörsen, die nach dem Prinzip ‚Eine Stunde für eine Stunde‘ bestens funktionieren.“ Da das Thema Nachbarschaft alle Menschen betrifft, hat es einen großen Einfluss auf das Leben und das Wohlbefinden. Man kann unter ihr leiden oder von ihr profitieren. „Eine ‚perfekte‘ Nachbarschaft ist nicht nur schnell erreichbar, wenn Hilfe gebraucht wird. Da feiert man auch Feste, lernt sich kennen und wertschätzen, verabredet sich zu gemeinsamen Unternehmungen und achtet darauf, dass alle teilhaben können. Konflikte löst man mit Humor und Verständnis für den anderen“, so Mühlens. Mit ihrem Engagement will sie ein solches Zusammenleben fördern. Unmöglich scheint es nicht, wenn man sieht, wie viel Einsatz die Menschen bereits für ihre Nachbarschaftsinitiativen zeigen. Dass die meisten der 2004 gegründeten Netzwerke auch heute noch aktiv sind und jedes Jahr viele neue Projekte hinzukommen, ist für die Gründerin und ihr ambitioniertes Team Bestätigung und Antrieb, den kreativen Nachbarschafts-Projekten beim Ausbauen zu helfen und sie bekannt zu machen. Das ist wichtig, denn das Thema hat eine große Relevanz, was die Pandemie deutlich gezeigt hat. „Ausgrenzung und Vereinzelung sind ein Problem, das durch Corona noch verstärkt wurde. Ältere Menschen ziehen sich oft zurück, um anderen nicht zur Last zu fallen. Junge Familien sind oft im Alltag überfordert. Sich in dieser Situation für die Gemeinschaft aktiv einzubringen, fällt vielen nicht leicht“, erklärt die Netzwerkerin und Geschäftsführerin von AMG Hamburg. Sie fügt aber hinzu, dass Umfragen auf einen wachsenden Zusammenhalt in Nachbarschaften hindeuten: „Von Foodsharing über Kultur-Events, Hilfe für Flüchtende bis zu Wohnprojekten – Nachbarschaft ist in Bewegung gekommen. Das gilt auch für Krisensituationen.“
Mit ihrer Arbeit ist das Team von Netzwerk Nachbarschaft noch lange nicht zu Ende, denn es gibt immer noch viel zu bewegen. „Wir wollen in Zukunft die bestehenden und sehr erfolgreichen Netzwerke in Nachbarschaften noch stärker fördern. Denn sie verfügen über ein umfassendes Handlungswissen und sind Vorbild für viele, die sich für mehr Lebensqualität im Wohnumfeld engagieren wollen. Direkt vor der Haustür gibt es viele Aktions-Möglichkeiten“, so Erdtrud Mühlens. Besonderen Fokus legt das Netzwerk auf zwei Bereiche, deren Bedeutung in Zukunft deutlich zunehmen wird. Zum einen ist das der aktive Klima- und Ressourcenschutz in Wohnquartieren, besonders in Großstädten wie Hamburg. Hier sind Begrünungsmaßnahmen ein wichtiger Hebel, um extremer Hitze zu begegnen und mehr Versickerungsflächen zu schaffen. Das Netzwerk lobt seit fünf Jahren den Wettbewerb „Jede Wiese zählt!“ aus. Er prämiert Projekte wie Balkonbepflanzung, Fassaden- und Dachbegrünungen, Gemeinschaftsgärten bis hin zur Anlage von Hochbeetkulturen im Wohnumfeld. Das zweite Augenmerk legt das Netzwerk auf Mehrgenerationen-Projekte und den Schutz vor Vereinsamung und Ausgrenzung. Gemeinsam mit der AOK wird in Hamburg und drei weiteren Bundesländern der Förderpreis „Gesunde Nachbarschaften“ ausgeschrieben. „Die ausgezeichneten Projekte zeigen, wie freiwilliges Engagement den Lebensalltag von Singles, Familien, Alleinerziehenden und älteren Anwohnenden erleichtert. Bewerben können sich Gemeinschafts-Initiativen für gesunde Ernährung, Sport, Bewegung und soziale Teilhabe in den Quartieren.“ Auch in diesem Jahr wird der Preis wieder vergeben, die Anmeldefrist ist der 30. September! Alle Infos dazu finden Sie unter: https://aok-foerderpreis.netzwerk-nachbarschaft.net/rh/aok-förderpreis
Ein Projekt, das im vergangenen Jahr prämiert wurde, sind die kostenlosen Kochabende vom „Über den Tellerrand Hamburg e.V.“. Ziel dieser Initiative ist ein Miteinander der Toleranz und Akzeptanz in den Quartieren der Stadt. Um das zu erreichen, veranstaltet der Verein in mehreren Stadtteilen wie beispielsweise Winterhude Events, bei denen sich AnwohnerInnen mit unterschiedlichen Hintergründen und sozialer Herkunft treffen. Aktuell sind 1000 Bürger an der Initiative beteiligt.
Mehr Informationen finden Sie auf www.netzwerk-nachbarschaft.net
Aufmacherbild: Portraitfoto von Erdtrud Mühlens, Gründerin von Netzwerk Nachbarschaft © Netzwerk Nachbarschaft, Foto: privat