Nadine Herbrich und Alessandro Cocco aus Rotherbaum gründeten 2018 ihr Startup recyclehero. Ziel: gesellschaftlichen Mehrwert und einen nachhaltigen Warenkreislauf schaffen.
Wie seid ihr auf die Idee zu eurem Startup gekommen?
Nadine Herbrich: Mein Mitgründer Alessandro und ich hatten beide schon immer den Wunsch, etwas mit gesellschaftlichem Mehrwert zu machen. In unseren alten Jobs (Alessandro Bank, Nadine Bau- und Immobilienbranche) war uns das leider nur begrenzt möglich. Als sich in unserer gemeinsamen WG im Jahr 2017 regelmäßig Altglas, Altpapier und Pfand auf dem Balkon gestapelt haben, war das für uns der Ausgangspunkt, ein Unternehmen aufzubauen, das nicht nur ökonomisch nachhaltig ist, sondern auch ökologischen und sozialen Mehrwert liefert. Heute unterstützen wir mit unserem Recycling-Service Gastro, Büro-Shop- und Privatkunden dabei, ihre Wertstoffe zeitsparend und klimafreundlich zu recyceln. Die Besonderheit ist, dass der Transport mit klimafreundlichen Lastenrädern erfolgt und wir von Anfang an soziale Projekte initiieren und unterstützen.
Ihr nennt euch Impact Startup, was ist das?
Unternehmen, die sich nicht nur nach ökonomischen Prämissen ausrichten, sondern durch ihre Existenz einen ökologischen und/oder gesellschaftlichen Mehrwert liefern. In unserem Fall fokussieren wir eine klimafreundliche Logistik, die Erhöhung der Recyclingquoten und die Sensibilisierung der Menschen für das Thema Kreislaufwirtschaft sowie die Verringerung von Vorurteilen gegenüber sozial benachteiligten Gruppen in unserer Gesellschaft (z.B. Menschen ohne Obdach).
Hamburg wird oft dafür kritisiert, nicht so Startup-freundlich und innovationen offen zu sein wie andere Bundesländer – wie waren eure Erfahrungen beim Start?
Ich kann keinen Vergleich ziehen, in einer anderen Stadt zu gründen – die Bürokratie als Arbeitgeber*in ist definitiv sehr zeitaufwändig.
Wir haben uns von Anfang an an die bereits bestehende “Impact-Startup-Infrastruktur angeschlossen, bspw. über das Social Impact Lab und den Impact Hub, die als Multiplikatoren und Netzwerk in diesem Bereich dienen. Ich habe Hamburg aus meiner Perspektive als startup-freundlich kennengelent – es kommt sicherlich auch immer darauf an, was man selbst daraus macht und wie man sich einbringt.
Was waren für euch die größten Herausforderungen bei der Umsetzung?
In den ersten beiden Jahren haben wir recyclehero nebenberuflich betrieben und als wir offiziell gründen und durchstarten wollten kam Corona – alle unserer Gewerbe- und Gastro-Kunden waren davon stark betroffen – das hat uns für den Moment zurückgeworfen, aber wir haben die Zeit sinnvoll genutzt und unsere Lastenräder genutzt und über Kooperationen soziale Projekte für obdachlose Menschen organisiert, bis die geschäftliche Situation sich halbwegs wieder normalisiert hatte. Das Schöne ist, dass wir einen Teil dieser Projekte dann in unseren geschäftlichen Alltag integrieren konnten.
… und was die größte Überraschung?
wie vielen Menschen es immer wichtiger ist, mit wem sie zusammenarbeiten und welche Dienstleister sie für ihre eigene Unternehmung beauftragen. Das freut uns natürlich sehr!
Habt ihr euer Erspartes investiert, oder hattet ihr einen Geldgeber oder beides?
Wir haben recyclehero am Anfang aus eigener Kraft nebenberuflich aufgebaut (nach 18 Uhr und an Wochenenden) – “bootstrapped” und haben 2019 ein Crowdfunding gemacht. Mit diesem Geld haben wir unsere ersten drei Lastenräder finanziert. Seit 2021 haben wir sehr tolle und impact-orientierte Investor*innen an Bord, die uns auch im geschäftlichen Alltag mit ihrem Know-how zur Seite stehen. Uns war es am Anfang wichtig herauszufinden, ob es für unser Produkt einen Markt gibt und erst dann Unterstützer*innen zu involvieren.
Ihr holt Kleidung, Altglas und Papier ab… gibt es einen Schwerpunkt?
Die meisten unserer Kunden nutzen unseren Service im praktischen Abo – aber man kann uns auch spontan “on demand” buchen, bspw. nach einem Umzug oder einer Party. z.B. bringen viele Gastronom*innen Altglas, Altpapier noch mit dem Auto weg oder lagern es an Mitarbeiter*innen aus. Wir bieten dafür eine praktische, auf unsere Kunden zugeschnittene, zuverlässige Lösung (Mitarbeitermangel ist für Gastro ein Problem). Seit 1,5 Jahren holen wir Altkleider bei Privathaushalten kostenfrei ab und sorgen dafür, dass diese lokal im Kreislauf bleiben (Verkauf an Secondhand; Spende an Hanseatic Help). Mittlerweile können auch Firmen Altkleider-Sammelaktionen in ihrem Büro in Kooperation mit uns anbieten.
Bei Kleiderspenden wird oft bemängelt, dass sie als Altkleider etwa in Afrika die Märkte überfluten und zerstören. Was macht ihr mit der gesammelten Ware?
Genau deshalb machen wir das! Kleidung wird oft günstig in Asien produziert, bei uns günstig gekauft und zweimal getragen und in auf dem “konventionellen” Weg häufig exportiert – leider auch in Länder, deren lokale Textilmärkte wir zerstören und nicht über eine Entsorgungsinfrastruktur verfügen, um mit dem Überschuss umzugehen. Die Konsequenz: die Kleidung landet in der Wüste und/oder im Meer und das ist absolut nicht der richtige Weg. Da das Problem beim Konsumenten und der Fast-Fashion-Industrie beginnt, kann man aber aus meiner Sicht auch nicht ausschließlich die konventionellen Entsorger für die Probleme verantwortlich machen, sondern jeder/jede sollte das eigene Konsumverhalten überdenken – Qualität kaufen – nachhaltig kaufen – SECOND HAND kaufen – gar nicht kaufen (weil man ja idR genug besitzt).
Mit recyclehero arbeiten wir daran die ungewollten Klamotten möglichst lokal im Kreislauf zu halten und das lokale Angebot von Secondhand attraktiver zu machen. Wir vermitteln unseren Kunden im Vorfeld aber auch, welche Kleidung nicht mehr verwendet werden kann -zb. wenn sie verschlissen ist, verschmutzt, ein Reißverschluss kaputt ist, wird sie auch im Secondhand und der Bedürftigen Versorgung nicht mehr eingesetzt. Dann ist es manchmal besser, diese Kleidung ordentlich im Restmüll zu entsorgen. Wir geben darüber auf unserer Website nochmal detaillierte Infos zu den Hintergründen – das führt hier zu weit. 😉
Für mich als Laien klingen alle drei Dinge nicht nach finanziell sehr wertvollen Rohstoffen. Ihr habt ein recht großes Team, wie/womit verdient ihr euer Geld, um den Laden am Laufen zu lassen?
Unsere Kunden nutzen unseren Service in der Regel als Abo-Modell – viele sind schon 2018 dabei – wir generieren dadurch laufende Einnahmen. Die Kleidung verkaufen wir an einen lokalen Secondhand-Laden. Zudem haben wir Investor*innen an Bord, die uns in der Wachstumsphase unterstützen. Wir planen noch in diesem Jahr unseren Service über ein Franchise-Modell an andere Standorte auszuweiten.
Ein Teil der Erlöse geht an das Projekt „WärmBert”, das ihr ins Leben gerufen habt, um Menschen auf der Straße Wärme zu schenken, mittels Wärmflaschen für Obdachlose. Cool – wie seid ihr drauf gekommen, etwas eigens zu machen statt ein bestehendes Projekt zu unterstützen?
Ich habe im Winter 2019/2020 in meiner Nachbarschaft angefangen, Wärmflaschen an obdachlose Menschen zu verteilen und regelmäßig aufzufüllen, weil sie sich bei Eiseskälte draußen aufhielten, was mich sehr umgetrieben hat. Ich habe dann beschlossen, dieses Projekt zu skalieren und zu einem Nachbarschaftsprojekt zu machen. Wir finanzieren Wärmflaschen, binden freiwillige Shops, Restaurants und Privatpersonen als Auffüll-Punkte mit ein und schaffen dadurch eine Verbindung zwischen mehreren gesellschaftlichen Ebenen. Für mich hat das Projekt einen praktischen Nutzen, aber es geht mir dabei auch um den Abbau von Vorurteilen gegenüber Menschen auf der Straße. Obdachlosigkeit entsteht häufig aus einer Verkettung von Ursachen – mit dramatischen Konsequenzen für die Betroffenen. Durch viele persönliche Gespräche habe ich selbst sehr viel über das Thema lernen dürfen.
Aus deiner Erfahrung heraus, nenne doch bitte mal drei Tipps für Menschen, die ein Startup planen…
1. Such dir einen Partner*in der dich gut ergänzt und der/die Durchhaltevermögen mitbringt
2. Der Weg ist das Ziel – Planung ist wichtig aber oft ist es gut einfach mal anzufangen und oft ergeben sich die Dinge dann automatisch (es macht Sinn schnell herauszufinden, ob es einen Bedarf gibt)
3. Startups sind Innovatoren und können den Status quo hinterfragen – die Welt zum besseren verändern – für mich ist das einer der wichtigsten Treiber ein Unternehmen zu gründen (finanziell muss man häufig zum Wohle des Unternehmens zurückstecken).
Mehr zu dem Startup gibt es HIER.
Aufmacherfoto: Startup-Gründer Nadine Herbrich und Alessandro Cocco aus Rotherbaum. © Florian Bison