Zurzeit jagt der Blick auf die Strom- und Energierechnungen fast jedem einen Schreck in die Glieder. War das so gemeint, als der damalige Bundesumweltminister Trittin im Jahr 2004 ankündigte, die Förderung erneuerbarer Energien würde einen durchschnittlichen Haushalt nur rund 1 Euro im Monat kosten – „so viel wie eine Kugel Eis“? Der Atomausstieg im Jahr 2011 und der jüngst beschlossene Ausstieg aus Kohle und Erdöl führen zu einer Verknappung von Energie, mit steigenden Preisen für alle. Zeit also, die damaligen politischen Entscheidung zu hinterfragen und eine Alternative vorzustellen: den Dual-Fluid-Reaktor. Lesen Sie dazu einen Gastbeitrag von von Prof. Dr. Michael Thorwart aus Ohlstedt.
Sicherlich gelten die zurzeit noch laufenden Kernreaktoren der sogenannten Generation II als technisch überholt, auch wenn sie höchste Sicherheitsstandards erfüllen. Das Konzept der Leichtwasserreaktoren stammt aus den frühen 1960er Jahren. Längst hat der technische Fortschritt vollständig neue Ideen hervorgebracht, so wie den Dual Fluid Reaktor eines Berliner Start-ups. Das Konzept hat Patentschutz in allen wichtigen Ländern erhalten; 2021 gründeten die Erfinder die kanadische Firma Dual Fluid, um es zu realisieren. Die fundamental neue Idee ist die Verwendung zweier getrennter geschlossener Stoffkreisläufe („Dual Fluid“), einen für den flüssigen Brennstoff und einen für den flüssigen Kühlstoff. Als Brennstoff wird eine Schmelze aus Metallen, an die die spaltbaren Stoffe gebunden sind, bei einer Temperatur von ca. 1000 Grad Celsius verwendet. Getrennt davon fließt flüssiges Blei als Kühlstoff im zweiten Kreis, der über einen gewöhnlichen Wärmetauscher an einen normalen Dampferzeuger angeschlossen ist, der eine Turbine antreibt. Da man die Baumaterialien für beide Kreisläufe getrennt jeweils für die eigene Aufgabe optimieren kann, werden nur relativ geringe Mengen an teuren Werkstoffen in Form von Siliziumkarbid („Keramik“) und von Sondermetalllegierungen benötigt. Diese Konstruktion erlaubt auch bis zu 50-mal höhere Leistungsdichten im Vergleich zu heutigen Reaktoren. Daher sind die Ausmaße der Reaktoren recht kompakt. Ein Reaktorkern würde im Bereich von anderthalb Metern Höhe liegen. Das Konzept ist in wissenschaftlichen Publikationen dargelegt.
Energie ist das Lebenselixier moderner, offener, freiheitlich-demokratischer Bürgergesellschaften. In Deutschland wurde in den letzten 40 Jahren die Angst vor der Kernenergie tief in das Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten eingebrannt. Die Welt der Naturwissenschaftler und Ingenieure hat sich aber weitergedreht. Heutige Reaktorkonzepte sind nicht mehr mit den altvorderen vergleichbar. Der Dual Fluid Reaktor repräsentiert die neue Generation IV.2.
Solche Reaktoren müssen vier zentrale Prinzipien erfüllen. Erstens ist der Dual Fluid Reaktor in sich selbst sicher. Das bedeutet, dass die Kernspaltung nur in einem bestimmten Temperaturbereich selbsterhaltend funktioniert. Würden zum Beispiel alle Notfallsysteme ausfallen, würde der Reaktor von allein zum Stillstand kommen. Probleme mit verklemmten Steuerstäben wie in Tschernobyl können an sich nicht auftreten. Würde die Temperatur im Reaktor zu hoch, steigt der mittlere Abstand der spaltbaren Atomkerne in der Metallschmelze und die Kernreaktion endet von ganz allein, genauso wie bei einem Temperaturabfall, wenn der Abstand der Kerne zu klein wird. Zusätzliche Schmelzstopfen würden einen Notablass in Auffangbehälter ermöglichen.
Zweitens ist der Kernreaktor militärisch uninteressant („proliferationssicher“). Es wäre viel zu aufwendig, kernwaffenfähiges Material aus der Metallschmelze zu produzieren. Nebenbei bemerkt: In den 1960er Jahren gab es bereits in den USA einen funktionierenden Vorläufer in der Form eines Salzschmelzereaktors, den Mono Fluid Reaktor. Brenn- und Kühlflüssigkeiten waren in einem einzigen Kreislauf enthalten. Dieses System konnte sich aber damals gegenüber den Leichtwasserreaktoren nicht durchsetzen, da das US-Militär die letzteren zur Herstellung von Kernwaffenmaterial brauchte. Heute zeigt sich diese Eigenschaft der Schmelzereaktoren als wichtiger Vorteil.
Drittens löst der Dual Fluid Reaktor das Entsorgungsproblem. Er verarbeitet das spaltbare Material nahezu vollständig und die Reststoffe sind insgesamt nach 300 Jahren weniger strahlend als Natururan. Heutige Reaktoren können nur drei Prozent des Brennstoffs nutzen, der große Rest fällt als „Atommüll“ an, der ca. 300 000 Jahre eingelagert werden müsste. Aber auch dieses „Atommüllproblem“ löst der Dual Fluid Reaktor: Er kann aus dem bis heute in Deutschland angesammelten „Atommüll“ Strom für mehrere hundert Jahre produzieren. Damit wäre auch die Debatte um ein Atommüllendlager in Deutschland beendet.
Viertens kann der Dual Fluid Reaktor Strom für unter 2 Cent pro Kilowattstunde liefern, was im Vergleich zu 5 bis 8 Cent pro Kilowattstunde bei subventioniertem Wind- und Solarstrom zu sehen ist. Die Ursache hierfür ist die extrem hohe Energiedichte in den Atomkernen, die ca. eine Million Mal höher ist als bei fossilen und „erneuerbaren“ Energieträgern. Die hohen Betriebstemperaturen des Dual Fluid Reaktors sind auch für die direkte Nutzung zur Erzeugung von Wasserstoff und von synthetischen Treibstoffen interessant. Mit Wasserstoff stünde ein CO2-neutraler Energieträger in praktisch unbegrenzten Mengen zur Verfügung und unsere vorhandene Infrastruktur (Gasleitungen und -speicher, Straßen, Tankstellen) könnte dafür übernommen werden. Klimaneutrales Fliegen würde Wirklichkeit.
Wahrscheinlich der wichtigste Aspekt angesichts der weltweiten Anstrengungen für den Klimaschutz ist aber, dass der Dual Fluid Reaktor ein vollständig CO2-neutraler Energielieferant wäre. Damit sichert er den Wohlstand heutiger Generationen und garantiert gleichzeitig den Umwelt- und Klimaschutz für unseren Planeten.
Es ist Zeit für einen neuen, frischen Blick auf die fortschrittlichsten Technologien der Nutzung der Kernenergie, wenn wir unseren Wohlstand und unsere bürgerliche Freiheit bewahren und gleichzeitig unser Klima, unsere Natur und unsere Landschaften nachhaltig schützen wollen.
Prof. Dr. Michael Thorwart lebt in Hamburg-Ohlstedt und arbeitet als Professor am I. Institut für Theoretische Physik an der Universität Hamburg. Sein Arbeitsgebiet ist die Quantenphysik der Kondensierten Materie.
Mehr Infos bei Visionären der Dual-Fluid-Technik gibt es HIER.
Das Aufmacherfoto ist ein Symbolbild, es entstammt aus einem Kernkraftwerk, denn Dual-Fluid-Reaktoren gibt es nich nicht.