Anfang 1920 haben jüdische Bürgerinnen und Bürger in der Rothenbaumchaussee 26 das erste baugenossenschaftliche Projekt Hamburgs verwirklicht. Dann kamen die Nazis … Der Autor, Theatermacher und Lichtkünstler Michael Batz hat ein bewegendes Buch über die Geschichte des Hauses und ihrer Bewohner geschrieben.
Das zunächst als Skandal empfundene Gebäude der Architekten Gebr. Gerson in Rotherbaum mit moderner dunkler Klinkerfassade wird bald zu einem einzigartigen Schauplatz der Zeitgeschichte. Bewohnt von prominenten Bankern, Sportlern, Künstlern und in direkter Nähe zu Grindelviertel und Bornplatzsynagoge, spiegelt das Haus das Selbstverständnis deutscher Juden wider – bis zu ihrer Ausgrenzung, Vertreibung und „Arisierung“ der Wohnungen. In einer Fülle von Details zeichnet Michael Batz Familienschicksale nach und zeigt verblüffende Zusammenhänge in Hamburg und der ganzen Welt auf. Entstanden sind dank mehrjähriger Recherche in den USA, Kanada, Israel, Argentinien, England und Spanien 100 Kapitel, die einen in eine andere Zeit versetzen und nachdenklich stimmen. Lesenswert!
Alstertal Magazin: Was hat Sie dazu bewogen so ein ausführliches Buch über das Haus zu schreiben?
Michael Batz: Es war tatsächlich die Klarinette* und die Frage, wer ein derart besonderes Instrument wohl versteckt haben konnte. Nach 1945 gab es eigentlich keinen Grund mehr dazu, und da das Haus ursprünglich ein jüdisches Projekt gewesen war, konnte wohl nur jemand von den früheren BewohnerInnen in Betracht kommen. Doch wer? Und da niemand auszuschließen war, musste ich eben auch nach allen Geschichten suchen. Entstanden ist also ein episches Vexierbild eines Rätsels, das nicht gelöst werden kann. *(Bei Bauarbeiten wurde unter Bodendielen eine hochwertige Klarinette gefunden, Anm. d Red.)
Das Schicksal welches Bewohners/Bewohnerin hat Sie am meisten bewegt?
Ergreifend ist natürlich die Geschichte des Campe-Enkels Yves Saget, der als französischer Widerstandskämpfer im KZ Neuengamme umgebracht wird – der Stadt seiner Großeltern und seines deutschen Erbes. Und dass der Prozess gegen die Lagerleitung des KZ genau gegenüber seiner Wohnung stattfand. Aber berührend sind durchaus auch noch andere Geschichten.
Lässt sich aus der Historie dieses Hauses auch ein Bogen in die heutige Zeit spannen?
Ein wunderbarer Bogen lässt sich über die älteste noch lebende Erstbewohnerin des Hauses spannen: Eva Magnus, die Tochter des ersten Geschäftsführers der Wohnhaus Rothenbaum GmbH. Sie lebt in Washington und konnte sich erinnern, dass bei Verwandten in Israel sich das Buch der Südseegeschichten mit der handschriftlichen Widmung für ihren Vater befindet. Aktuell interessieren sich viele der Bewohner bzw. Nutzer der Wohnungen (meist Arztpraxen) sehr für die Geschichte des Hauses, vielleicht kommt es auch zu der einen und anderen Lesung dort. Ein bisschen scheint es, als ob das Haus selbst so etwas wie ein „Gedächtnis“ hätte.
BUCHTIPP:
Michael Batz, Das Haus des Paul Levy. Rothenbaumchaussee 26, Dölling und Galitz Verlag, Hardcover, 560 S., 90 Abbild., 32 €
Aufmacherfoto: Michael Batz © Götz Wrage