Hamburgs größtes Reizthema ist die Verkehrspolitik. Weil Umwelt, Ideologie, Sozialneid und politische Umerziehung die Debatte beherrschen. Es entsteht nicht nur wirtschaftlicher Schaden – sondern ein tiefer Frust zwischen Politik und vielen Hamburger Bürgern.
Die Idee der “Fahrradstadt Hamburg” ist in vielen Stadtteile nicht umsetzbar – darum bleiben die Menschen im Alstertal und in den Walddörfern auf der Strecke, meint Verleger Wolfgang E. Buss.
Stau! Stau! Stau – und immer mehr Autos in unserer Stadt! Doch wie damit umgehen? Für die einen ist es ein Segen, bieten ihnen die Staus doch täglich neue Beweise dafür, dass eben genau die Individualverkehre reduziert, ja aus der Stadt verdrängt werden müssen. Für die Anderen dagegen ist die Staustadt Hamburg der Beweis restlos überforderter rot-grüner Verkehrsplaner und Politiker.
Und tatsächlich: Sie wollen die Autos verbannen. Insbesondere die großen, eleganten, vielleicht ein bisschen protzigen Exemplare. Sie sollen verdrängt werden aus der Hamburger City, weil eben genau sie die Ursache des Verkehrsinfarktes darstellten.
Aber eins nach dem anderen. Circa 800.000 KFZ sind derzeit in Hamburg zugelassen. Anders ausgedrückt: Auf jeden Hamburger, vom Baby bis zum Senior, kommen 0,43 Autos. Darum wohl beschreibt die BILD-Zeitung Hamburg als „Hölle für Autofahrer”. Die größten Nerv-Faktoren seien das Stau-Chaos, hohe Parkgebühren und die im Vergleich deftigen Spritpreise.
Bemerkenswert: Es lässt sich treffsicher am politischen Kompass ablesen, aus welchem politischen Milieu welche Kritik kommt. Überwiegend beklagen CDU und FDP den fortschreitenden Abbau von Parkraum, die „Staustadt Hamburg“ als Standortnachteil auch für die Wirtschaft, weil zahllose Hamburger wichtige Zeit verlieren. Verlorene Zeit ist eben verlorenes Geld.
Der Alstertaler CDU-Fraktionschef in der Hamburgischen Bürgerschaft, Dennis Thering, drückt es deutlich aus: “Kein Politikfeld in der Stadt elektrisiert die Menschen so sehr wie der Verkehr!” Und der sei eben desolat. Er wirft dem neuen Grünen “Senator für Verkehr und Mobilitätswende” Anjes Tjarks vor, nur die City-Verkehre im Blick zu haben um damit einem ausgesuchten Klientel zu gefallen. Denn: Er will Hamburg “autofrei” machen. Um das zu voran zu treiben, positionieren sich Hamburgs rot-grüne Regierungsparteien immer klarer gegen das Automobil. Ziel sei die „Fahrradstadt Hamburg“, jubeln die „urbanen Grünen“. Schnell mit dem Rad zur Uni, in die Kita oder zum Einkaufen um die Ecke. Ein Ausbau der Radwege in City-nahen Quartieren steht ganz oben auf der Agenda. Das Problem scheint gelöst! ÖPNV, gepaart mit dem Fahrrad! In bunten Broschüren stellen sie die Zukunft mit lächelnden Radlern im sonnigen Hamburg dar. Doch T-Shirt-Wetter ist in Hamburg eine Seltenheit. Das Stadtklima ist geprägt von Regen, Nässe, Wind, an mehr als der Hälfte aller Tage ist es kälter als 13 Grad.
Und dann plötzlich kommt das Jubeln ins Stocken oder die Lüge wird sichtbar. Denn eben längst nicht alle Hamburger leben citynah! Der Autor hat mehrere Male getestet, bei Regen, Wind und 13 Grad vom Alstertal in die City ins Meeting zu radeln. Ein 55-minütiger Höllenritt! Höchstgefährlich! Jede Kreuzung wird zur Todeszone, können doch Autofahrer durch die nasse und beschlagene Scheiben schwer präzise im Rückspiegel verfolgen, welcher Radfahrer sich noch im toten Winkel befindet. Und so mutieren die bunten Prospekte der Bike-City zu Fake-Bildern. Fatal: Wer in den eleganten Hamburger Außenbezirken wie Alstertal oder Walddörfern lebt, nimmt die Verkehrswende als Lüge war. Und wer sich aus freier Entscheidung ein schönes Auto gönnt, hat die Politik plötzlich gegen sich. Selbst schuld, so die Oppositionsparteien CDU und FDP: Wer, wie bei der letzten Bürgerschaftswahl, Rot-Grün die Mehrheit gab, darf sich nicht wundern: Im Wahlkreis 13 – Alstertal – Walddörfer wählten SPD: 42,4 Prozent, Grüne: 20,5 Prozent, aber eben nur CDU: 17,3 Prozent oder FDP: 7,4 Prozent. Und eben diese verkehrspolitische Richtungsentscheidung wird plötzlich Realität: Den schönen SUV stehen lassen und rein in den Abgas-stinkenden HVV-Bus! Und wer zu jenen vielen Familien im schönen Ohlstedt zählt, in denen drei Autos zum Haushalt gehören, sollte sich zusätzlich mit der Anschaffung einer HVV-Dauerkarte beschäftigen.
21 Millionen Euro wurden jetzt für das Projekt “Reallabor” bereitgestellt. Ausprobiert werden soll eine gemeinsame App für Bus und Bahn, Car-Sharing, Fahrradmiete sowie Taxis und Scooter. Sie soll dann alles buchen und abrechnen können. Doch alle Anbieter haben aktuell bereits ihre eigenen Apps in Betrieb. Nun soll gelingen, diese sehr unterschiedlichen Geschäftsprozesse zu vereinheitlichen. Für die Duvenstedter würde das bedeuten: Ich buche ein Stadtrad, dass es dort allerdings nicht gibt. Also ein Carsharing-Auto. Leider auch nicht verfügbar. Also gehe ich 17 Minuten von Zuhause im Regen zum Bus, nehme dann die S-Bahn, gehe dann noch einmal 12 Minuten vom Hauptbahnhof bis ins Büro, weil gerade kein Scooter verfügbar ist und bin 1 Stunde und 18 Minuten unterwegs. Morgens. Und wieder Abends. Fünf mal die Woche. Diese Eckdaten fließen dann ins “21-Millionen-Reallobor” ein. Das Ergebnis kann ich jetzt schon vorweg nehmen, ohne Millionen zu verschwenden: Viele Bürger in den Außenbereichen sind einfach nur sauer.
Doch selbst wer mit dem Auto nur zum Einkaufen fahren möchte, sieht die rot-grüne Karte: Denn selbst aus dem idyllischen Volksdorfer Zentrum will man die Autos verdrängen. Gegen den Willen der Mehrheit, so die Ergebnisse einer Befragung der örtlichen FDP. Denn die Mehrheit wünscht sich „mehr Kneipen“ und mehr Außengastronomie und „mehr Angebote für Jugendliche“, so die deutlichen Rückmeldungen. „Die mit Abstand allermeisten forderten mehr Parkplätze und kostenfreie Parkhausplätze, viele auch ein weiteres Parkhaus, einige auch mehr Kurzzeitparkplätze im Ortskern, zudem müsse es mehr geschäftsnahe Behindertenparkplätze geben“, so die FDP-Umfrage.
Hamburgs Verkehrspolitik ist von Menschen erdacht, die das Leben in Hamburgs schönen Vororten nicht kennen oder für spießig halten. Sie machen vielleicht einmal im Jahr bei schönem Wetter einen Fahrradausflug in die Randgemeinden, um das Idyll zu erleben – wenn ihnen auch die vielen luxuriösen Autos vor und auf den Grundstücken missfallen. Und jene Leute sind es, die statt der Verkehrswende eine Verkehrslüge schaffen! Die Fahrradwege hier sind in großen Teilen unzumutbar. Schuf man werbewirksam “Fahrrad-Boulevards” an der Außenalster, wurden die Außenbezirke ausgespart. Oder ahnt man bereits, dass von hier keiner in die City fahren wird?
Hamburgs Links-Grüne Medien dagegen jubeln! Das Fahrrad sei der “Gewinner” der Corona-Krise. Angbeblich schnellten die Zahlen der Radfahrer in Hamburg in die Höhe, so vom Senat bestätigt. Gezählt wurde mit einer Fahrrad-Zählsäule. 2020 sei der stärkste “Radfahr-Juni” überhaupt. Insgesamt fuhren in diesem Monat rund 278.000 Fahrräder an der Säule vorbei, im Jahr davor waren es mit etwa 274.000 um die 4000 weniger. Der stärkste Tag im Juni 2020 war der 23. Juni mit knapp 14.000 Radfahrern. Diese Säule steht allerdings nicht an der Bergstedter- oder Bramfelder Chaussee, am Saseler Damm, dem Ring-3 oder am Waldweg, sondern am vorzeige “Fahrrad-Boulevard” an der Außen-Alster. So kann man mit Zahlen täuschen.
Natürlich weis der Autor, dass nur vernetzte Verkehre Lösungen bringen werden und wir nicht mehr alle zur gleichen Zeit mit dem Auto in die City fahren können. Doch warum haben die Bürgerinnen und Bürger sich ein oftmals schönes Auto zugelegt? Weil es sehr sehr bequem und angenehm ist, von Tür zu Tür fahren. Und der Wunsch, diese Bequemlichkeit auch weiter nutzen zu wollen, ist nichts Verwerfliches! Doch inzwischen sind es über Stunde im Berufsverkehr – und abends zurück? Zur Zeit bedeutet für die Betroffenen das Zauberwort “Verkehrswende” nichts weiter als rein in die vollen Busse und Bahnen – Bequemlichkeit ade! Doch plötzlich die von allen unerwartete Veränderung: Homeoffice! Und enorme Zeitersparnis morgens und abends. Würde sich diese Arbeitsform durchsetzen, wäre sie ein echter Paradigmenwechsel für die Verkehrspolitik.