Der Koalitionsvertrag der neuen/alten rot-grünen Koalition in Hamburg steht! Diese Woche wurde er vorgestellt. Doch neben Lob gibt es auch einige kritische Stimmen. Wir haben interessante Statements gesammelt.
“Wir haben anstrengende Koalitionsverhandlungen hinter uns”, erklärte der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher. “Aber wir sind der Überzeugung, dass wir Hamburgs Zukunft kraftvoll gestalten können.” Der Koalitionsvertrag umfasst 205 Seiten und trägt die Überschrift “Zuversichtlich, solidarisch, nachhaltig – Hamburgs Zukunft kraftvoll gestalten”. Auch wenn die Zuversicht bei den Koalitionspartnern demonstrativ groß ist, gibt es auch kritische Gegenstimmen.
So kommt Hamburg nicht gestärkt aus der Krise. Die Unterstützung der Hamburger Wirtschaft und die Sicherung von Arbeitsplätzen muss gerade jetzt die höchste Priorität haben. Da ist die Trennung der Verkehrs- von der Wirtschaftsbehörde ein großer Schritt in die vollkommen falsche Richtung. Mobilität darf in der Handels- und Logistikmetropole Hamburg nicht zur grünen Spielwiese verkommen, Wirtschaftsverkehre müssen fließen und nicht länger in der Staustadt Nummer 1 still stehen. Auch die Finanzierung der rot-grünen Wunschprojekte bleibt unklar, da hätte ich mir im Koalitionsvertrag deutlich mehr Klarheit gewünscht. Dieser hat wohl nur eine Halbwertszeit bis zur nächsten Steuerschätzung. Die Besetzung einzelner Ressorts nach parteipolitischen Überlegungen statt fachlicher Kompetenz sorgt für große Fragezeichen. Dabei hätte in der Neubesetzung an der Spitze der Justizbehörde nach den vielen Skandalen der letzten Jahre eigentlich eine Chance gelegen.
Dennis Thering, CDU-Fraktionsvorsitzender
Rot-Grün wird beweisen müssen, dass die vielen Aussagen zur Nachhaltigkeit, zum Klimaschutz und zum Grünerhalt in Hamburg nicht nur Lippenbekenntnisse sind. Immer wenn es konkret wird, etwa bei der A26 Ost, bei der Daimlerweiterung in Heimfeld oder beim Flughafen, hat Rot-Grün die Chancen für einen wirklichen Politikwechsel vertan und folgt der üblichen Wachstumslogik, die auf Dauer unseren Planten zerstören wird.
Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg
Der Vertrag trifft eine Reihe von Festlegungen, die für die Hamburger und norddeutsche M+E-Industrie ausgesprochen wichtig sind: Infrastrukturprojekte wie der Bau der A26-Hafenquerspange, der Ersatz der Köhlbrandbrücke durch einen Tunnel, das Festhalten am Hafenausbau oder die Erweiterung des ÖPNV-Angebots in der Stadt sind aus unserer Sicht gute Voraussetzungen für den Erhalt eines starken Industriestandorts. Gleichwohl braucht die Industrie Zukunftsimpulse und Verlässlichkeit, gerade in Krisenzeiten. Hier lässt der Koalitionsvertrag viele Fragen unbeantwortet. Wenn etwa das hochmoderne Kraftwerk Moorburg umgewidmet werden soll, wächst die Sorge, dass die ohnehin hohen Energiekosten in Hamburg weiter steigen. Wenn der Flugbetrieb am Helmut Schmidt-Airport zwar nicht eingeschränkt wird, aber Wachtumsimpulse verhindert werden, schwächt das die internationale Bedeutung Hamburgs. Wenn für den Hafen abseits von Klimavorgaben kein Konzept gefunden wird, um den Bedeutungsverlust gegenüber Rotterdam oder Antwerpen wettzumachen, wird die Handelsmetropole Hamburg Schaden erleiden. Und wenn die Antwort auf die Verkehrsprobleme die Idee der ‚Fahrradstadt‘ sein soll, dann wird das nicht ausreichen
Dr. Thomas Piehler, Vizepräsident NORDMETALL
„Die heute von den Koalitionspartnern vorgestellten Verhandlungsergebnisse lassen eine stabile Arbeitsgrundlage für die nächsten fünf Jahre erwarten.“ Dass die Politik mit einem Masterplan Handwerk 2030 an den erfolgreichen Masterplan Handwerk 2020 anknüpft, ist eine „Riesenfreude und der Beleg dafür, dass der Senat die Leistung des Handwerks erkenne und fördern wolle“. „Denn: In den kommenden Jahren muss Hamburg all seine Energie in die Bewältigung der Folgen der Coronakrise investieren. Das hat jetzt absolute Priorität. Damit das für Handwerk und Mittelstand gelingt, braucht es bestmögliche Rahmenbedingungen – und die wollen und können wir gemeinsam schaffen.“
Hjalmar Stemmann, Handwerkskammer-Präsident
Mit dem Satz der Koalitionäre, dass man am Lehrer*innenarbeitszeitmodell festhalten will, steht zu befürchten, dass die Aufgaben weiter erhöht werden und z.B. die Überarbeitung oder Evaluation der Lehrerarbeitszeitverordnung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Seit 2008 ist durch eine behördenbeauftragte Studie deutlich, dass die Aufgaben zunehmen und die Arbeitszeit nicht angepasst wird. Dass hier keine Umkehr stattfindet, ist eine Missachtung der Arbeit der Lehrkräfte, wie wir sie schon lange nicht erlebt haben.
Anja Bensinger-Stolze, Vorsitzende der GEW Hamburg
Ältere Menschen sind keine Verschiebemasse. Die Teilhabe jüngerer und älterer Menschen muss vor dem Hintergrund des sozialen Zusammenhalts in unserer Stadt zusammengedacht werden. Der Bereich Senioren sollte der neuen Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration zugeordnet werden. Wir hoffen, dass die guten Ansätze des scheidenden Senats, Jung und Alt gemeinsam zu denken, auch in Zukunft fortgesetzt werden.
Jutta Blankau, Präsidiumsvorsitzende der AWO Hamburg
Da ist viel Gutes und Wichtiges drin. Die Koalitionäre bekennen sich dazu, dass Arbeitsmarktpolitik angesichts der Corona-Pandemie ganz oben auf die politische Agenda gehört. Richtig so! Die Gewerkschaften haben sich im Vorfeld der Wahl für einen Masterplan Gute Arbeit eingesetzt. Jetzt ist es ein Bündnis für Gute Arbeit geworden. Damit können wir leben. Warten wir ab, was die genauen Vorstellungen der Parteien sind. Wir gehen davon aus, dass sich in diesem Rahmen Senat, Arbeitgeber und Gewerkschaften an einen Tisch setzen. Dieses Bündnis sollte angesichts der künftigen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt allerdings möglichst bald eingesetzt und handlungsfähig werden. Inhaltlich müssen dabei unter anderem die Stärkung der Tarifbindung, die Aufwertung von Berufen der Daseinsvorsorge und die Bekämpfung von prekärer Beschäftigung Themen sein.
Katja Karger, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Hamburg
Aus Antikorruptionsperspektive hat der Koalitionsvertrag viel Potenzial. Wir begrüßen, dass die neue Regierung mehr Transparenz in vielen Bereichen angekündigt hat, denn Transparenz ist das beste Mittel zur Korruptionsprävention. Nun kommt es auf die Umsetzung an – die angekündigte Abschaffung der intransparenten Deputationen ist ein gutes Signal für mehr Bürgerbeteiligung. Wir werden in den nächsten Monaten beobachten, welche konkreten Schritte neben der Verfassungsgarantie für das Transparenzgesetz unternommen werden, um transparentes Verwaltungshandeln zu stärken.
Ulrike Fröhling, Leiterin der Regionalgruppe Hamburg/Schleswig-Holstein von Transparency Deutschland