Sie ist die “Nachrückerin” des Jahres: Dorothee Martin übernimmt das Mandat des überraschend zurückgetretenen Johannes Kahrs. Grund: Sie war im Wahlkampf ihrem CDU-Kontrahenten Christoph Ploss im Wahlkreis 21 Alstertal, Hamburg Nord in der Direktkandidatur unterlegen. Ein desaströser Abwärtstrend, ausgelöst durch einen unsäglichen Martin Schulz, wir erinnern uns, zog im 2017 auch sie mit in den Abgrund.
Hintergrund:
Im Wahlkampf 2017 verlor die SPD 9,5 % an Wählerstimmen, sackte auf das Rekordtief von 22%, die CDU schaffte 27 %, während die vermeintlich verhasste AfD mit 12,6 % in den Bundestag einzog.
Jetzt ist sie plötzlich wieder da. Aber mit welchen Zielen, mit welchen Positionen? Darüber spricht der Verleger und Publizist Wolfgang E. Buss mit der neuen MdB!
Aktuell arbeitet Frau Martin intensiv für den umstrittenen Amerikaner Mark Zuckerberg und hilfst ihm, möglichst viele Besucher auf seine Werbe-Plattform “Facebook” zu bekommen. Dort äußert sie ungefiltert “große Freude über ihr plötzliches Mandat!” Die Freunde ist verständlich, darüber würde sich wohl jeder freuen, alleine der wirklich fürstliche Diäten wegen. Davon könnten, so unsere Recherchen, über 10 sparsame Hamburger Familien leben! Mehr dazu im spannenden Podcast!
Hier das Gespräch zum Nachlesen:
Plötzlich im Bundestag!
„Aber wer Politik für Geld macht, macht Politik aus einem falschen Grund.“
Sie hatte gekämpft im Alstertal. Um ein Direktmandat für den Deutschen Bundestag. Doch sie verlor gegen Christoph Ploss (CDU). Doch plötzlich, durch den Rücktritt von Johannes Kahrs (SPD-Bezirk Mitte) rückte sie nach.
Wolfgang Buss sprach mit ihr über die neue Situation und ihre politischen Ziele.
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Wolfgang E. Buss:
Möchtest Du uns erzählen, was passiert ist?
Dorothee Martin:
Das kann ich gerne machen. Ich bin jetzt seit Montag ungefähr 13 Uhr, Mitglied des Deutschen Bundestages.
Ich bin nachgerückt für Johannes Kahrs und fühle mich dem Alstertal nicht nur sehr verbunden, sondern möchte natürlich auch für das Alstertal arbeiten in dieser neuen Funktion.
Es kam für viele überraschend oder sehr überraschend, dass Johannes Bahrs politisch hingeworfen hat.
Wir erinnern uns, dass du damals, 2017, im Wahlkampf um Haaresbreite Dein Direktmandat verloren hast. Du musstest es damals an Christoph Ploss abgegeben. Und ja, wir erinnern uns vielleicht noch an den desaströsen Wahlkampf für und mit einem Martin Schulz, der Euch satte minus 9,5 Prozent eingebracht hat, das schlechteste Ergebnis, das die SPD je einfuhr. Und Dorothee musste darunter leiden: Sie verpasste das Mandat. Die SPD war damals schlecht aufgestellt, während die AfD, obwohl damals sehr verhasst, kam plötzlich auf 12,6 Prozent und zog in den Bundestag ein. Wie fühlst Dich jetzt? Quasi als Nachrückern? Das fühlt man sich ein bisschen als zweite Wahl.
Nein, überhaupt nicht. Grundsätzlich nicht, kann ich, glaube ich, für mich sagen. Und natürlich kam letzte Woche das Ereignis des Rücktritts von Johannes auch für mich sehr überraschend – sowie für alle.
Insofern habe ich eine sehr turbulente Woche hinter mir. Es war ziemlich genau Dienstag, 16:30 Uhr, als die Nachricht kam. Und ich hab auch nicht wirklich lange überlegen müssen.
Ich hab mich schon 2017 für dieses Mandat nicht nur interessiert, sondern habe auch alles dafür gegeben, habe sehr gekämpft. Du hast das Ergebnis richtig dargestellt. Gleichwohl muss ich auch noch einmal „Danke“ sagen an die Wählerinnen und Wähler. Denn mein Erststimmen- Ergebnis lag zehn Prozent über dem Zweitstimmenergebnis der SPD. Also gibt es da überhaupt keinen Grund, sich als zweite Wahl zu fühlen. Es ist ein demokratischer Prozess. Wenn jemand ausscheidet, kommt jemand nach.
Ich bin von meinen neuen Kolleginnen und Kollegen, übrigens nicht nur von der SPD, auch den anderen Fraktionen sehr, sehr herzlich aufgenommen worden, habe auch schon mit Christoph Ploss gesprochen. Ich kann sagen, die Arbeit hat eigentlich fast schon richtig angefangen. Also: Montag das Mandat angenommen, Dienstagmorgen nach Berlin gefahren, dann gleich die erste Fraktionssitzung. Und seit gestern haben wir Plenarsitzungen.
Ich habe mal ein bisschen geschaut. Du arbeitest bisher für den umstrittenen Amerikaner Mark Zuckerberg. Ihm hilfst du intensiv viele Besucher auf seine Werbe-Plattform „Facebook“ zu bekommen. Dort äußerst Du große Freude und sagst ungefiltert, dass Du Dich sehr, sehr freust über das neue Mandat. Ich denke, da würde sich wohl jeder freuen. Eine kurze Recherche zeigt: Von Deinen Diäten als Abgeordnete könnten zehn Hamburger Familien sparsam leben. Da ist die Freude ist groß, das können wir nachvollziehen.
Aber wer Politik für Geld macht, macht Politik aus einem falschen Grund. Insofern ja, natürlich, das ist eine gute Bezahlung. Das will ich gar nicht negieren. Gleichwohl steckt hinter der Bezahlung auch sehr, sehr viel Arbeit.
Und ich kenne das noch nicht. Alle meine Kollegen, auch aus anderen Bundesländern, sind sehr, sehr fleißig. Die arbeiten sieben Tage die Woche. Da beschwert sich auch keiner drüber. Dafür muss man sehr viel Herz, viel Leidenschaft aufbringen. Man vertritt im Wahlkreis ungefähr 250.000 Leute. Also sozusagen wie ein kleiner Bürgermeister. Und insofern freue ich mich auf diese Aufgabe.
Ich war jetzt neun Jahre lang Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. Das ist ein Teilzeit- oder Feierabend- Parlament, wo fast jeder der Bürgerschaftsabgeordneten noch einen normalen Beruf hat.
Übrigens Hinter meiner vermeintlich populistischen Frage steckt ein seriöser Hintergrund.
Mir hat mal der Abgeordnete Dirk Fischer auf die gleiche Frage geantwortet: Wenn ich mit meinen Fähigkeiten – beispielsweise als Anwalt in eine große Kanzlei – genauso viel arbeiten würde, würde ich ein Vielfaches dessen verdienen können, was ich als Bundestagsabgeordneter bekomme. Wie also bezahlen wir unsere politischen Vertreter? Kriegen wir die guten Leute nicht ins Parlament, weil sie weniger verdienen als in der Privatwirtschaft?
Man muss aber auch sagen Der Bundestag hat ja auch gerade auf seine Diätenerhöhung verzichtet, quasi unter den Corona-Gesichtspunkten. Ich finde, das ist eine völlig richtige Entscheidung. Diskussionen über Bezahlung kann man eher auf Hamburger Ebene führen, wo das sogenannte Teilzeit-Parlament schon lange keins mehr ist.
Wofür stehst du denn politisch eigentlich? Wo würdest du dich in der SPD verorten? Auf dem linken Flügel der SPD oder, wie Dein Vorgänger, auf dem rechten Flügel?
Ich bin von ganzem Herzen Sozialdemokratin. Das ist mir das Allerwichtigste.
Und ich glaube auch nicht, dass es um gute Politik zu machen in erster Linie wichtig ist, ob man links oder rechts oder in der Mitte steht, doch ja, es gibt verschiedene Gruppierungen, auch in der Bundestagsfraktion. Um das zu erläutern: Es gibt die sogenannte „Parlamentarische Linke“ als Gruppierung, wie schon der Name sagt, eher Mitte-links orientiert. Da gibt es die sogenannten „Seeheimer“, die den Mitte, Mitte-rechts Kurs vertreten, und in der Mitte gibt es eine eine Gruppierung, die nennt sich die „Netzwerker“. Dort war ich am Dienstag zum Beispiel und habe mir das mal angeguckt. Sagt vielleicht auch schon was. Aber ich glaube grundsätzlich, um gute Politik im Bundestag machen zu können, muss man die Grundsätze der Sozialdemokratie vertreten können.
Kommen wir auf die Essenz Deines Mandats. Was sind die politischen Ziele? Doch wohl hoffentlich nicht ein „Weiter so“ in einem gescheiterten Europa mit einer übergriffigen Zentralbank, die inzwischen selbst das Verfassungsgericht kritisch sieht. Was läuft da schief? Und was müssen wir verbessern – und wofür stehst du politisch?
Ich möchte, dass jeder Mensch in Hamburg ein gutes Zuhause findet.
Ich glaube, das kann jeder verschieden definieren. Das ist für den einen die konkrete Wohnsituation, die man sich wünscht, dass man sich dort Veränderungen wünscht. Das ist für die anderen das Thema Lärm vor der Haustür. Das ist die Kinderbetreuung für Mütter und Väter. Das ist die Situation für ältere Menschen. Ich glaube wirklich, dass es wichtig ist, dass Politik auf konkrete, pragmatische Lebenssituationen guckt und die konkret verbessert. Und um ein Beispiel zu nennen, was wir heute beschlossen haben. Wir haben das Kurzarbeitergeld erhöht auf 87 Prozent. Ich glaube, das ist etwas ganz Wichtiges, gerade in dieser Situation und wird konkret helfen.
Ich war immer im Bereich Wirtschaft, Verkehr, Stadtentwicklung tätig, und es gibt diesen schönen Satz: „Eine Wirtschaft muss dem Menschen dienen“, den finde ich sehr richtig. Ich bin durchaus dafür, dass Unternehmen gute Chancen haben sich zu entfalten, dass wir aber auch niemals Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerrechte vernachlässigen. Ich finde, eine der größten politischen Leistungen war der Mindestlohn. Wir werden morgen zum ersten Mal über die Grundrente diskutieren.
Du hast Corona erwähnt. Ich hätte wieder 10.000 Euro gewettet und diese auch gewonnen, wenn jemand dagegen gehalten hätte. Unser Hamburger Bürgermeister, dein Parteimitglied, hat in der Pressekonferenz vorgestern nochmal betont: Er und der Senat haben alles richtig gemacht.
Wie stehst du zu den Corona? Es gibt ja zur Zeit eine wachsende Front, die den Umgang von Politik und Regierung im Umgang mit dem Virus als viel gefährlicher darstellen als den Virus selbst. Wo stehst du in dieser Diskussion?
Ich denke, es war völlig richtig, dass wir zweifellos sehr harte Maßnahmen ergriffen haben.
Als Erfolg definiere ich mal die Eindämmung des Corona-Virus und die nicht steigenden Infektionszahlen. Dieser Erfolg gibt uns recht. Ich glaube, heute hatten wir gerade mal sechs neue Corona-Infektionen in Hamburg. Die letzten Tage waren das auch nur sehr wenig. Das heißt ja, dass alle Maßnahmen, die wir ergriffen haben, inklusive die Schließungen von Schulen, Kitas, Geschäften, also das ganze Maßnahmenpaket, die nicht leicht waren und die Menschen vor große Herausforderungen gestellt hat, richtig waren. Ich glaube, im Moment tauchen da einige Verschwörungstheoretiker auf. Trotzdem finde ich es völlig richtig, dass wir jetzt auch nochmal Maßnahmen beschlossen haben, dass mehr getestet wird, weil wir einfach die Sicherheit brauchen, dass die Corona-Pandemie auch weiterhin eingedämmt wird. Natürlich wollen wir alle natürlich, dass die Schutzmaßnahmen wieder gelockert werden. Wir alle wollen uns wieder irgendwann mit Freunden im Café treffen und Sport treiben. Und es wurde ja auch die letzten Wochen Stück für Stück gelockert, immer natürlich vor dem Hintergrund, dass die Zahlen nicht steigen dürfen. Jeder von uns hat noch die schrecklichen Bilder von Italien oder Spanien im Hinterkopf. Das wollten wir auf jeden Fall nicht nur in Hamburg, auch in Deutschland vermeiden. Insofern ist es jedem klar, dass wir viel von unserer Bevölkerung abverlangt haben.
Aber es ging nicht anders.
Wir dürfen die vielen Kritiker nicht alle als Verschwörungstheoretiker abkanzeln. Vielleicht wurde tatsächlich ein unnötiger Kollateralschaden angerichtet, wirtschaftlich, gesundheitlich wie auch psychisch. Auch unser Bürgermeister zitiert gerne Italien und Frankreich als schlechte Beispiele. Doch warum zitiert er nicht Schweden? Die es ganz anders gemacht haben, keinen gigantischen wirtschaftlichen Kollateralschaden erzeugt haben. Hätten wir uns so verhalten wie die Schweden, wäre uns virologisch genauso wenig passiert.
Es gab in Schweden deutlich deutlich mehr Tote als in Deutschland. Das kann man mal irgendwie sagen. So war das überzogen.
Wenn es mehr Tote gibt, dann muss ich ganz klar sagen: nein. Und man muss auch sagen, das bestätigen auch Wissenschaftler: In Schweden sind die Langzeitfolgen nicht absehbar. Sie sind einen anderen Weg gegangen mit besagten Konsequenzen und Folgen. Aber ich muss es auch mal ganz deutlich sagen: Ich glaube, es ist von jedem abzuverlangen, dass für einige Wochen Cafés und Restaurants nicht offen haben, wenn man als Staat den betreffenden Unternehmen Unterstützung gibt, was wir ja getan haben. Das hat Schweden nicht getan. Ich finde das einen sehr gefährlichen und sehr riskanten Weg. Ich weiß, man lobt immer die skandinavischen Länder. Aber auf der anderen Seite weiß ich noch, dass die Presse auch sehr den österreichischen Weg gelobt hat und wir vor zwei Monaten eher Debatten hatten, warum macht man in Deutschland so wenig? Der „viel gelobte“ Kanzler Kurz ist da doch viel rigider.
Niemand hat diese Entscheidungen gerne getroffen, und die wirtschaftlichen Auswirkungen sind uns klar. Deswegen haben wir ja, ich glaube das ist bekannt, ja auch Rettungsschirme, für viele Branchen geschaffen, arbeiten noch weiter dran. Ich hab aktuell noch ein Gespräch zur Frage, wie wir die Schausteller unterstützen können. Und auch unser ehemaliger Bürgermeister und Bundesfinanzminister wird jetzt die ersten Entwürfe von Konjunkturprogrammen für die Zeit nach der Krise vorlegen. Damit beschäftigt sich auch der Bundestag. Wir müssen dafür alles tun, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt, weil ohne eine funktionierende Wirtschaft, geht es den Menschen auch nicht gut.
Ich finde es gut, dass wir offen darüber diskutieren und dass wir auch unterschiedliche Meinungen haben.
Ich bin mir ganz sicher, dass auch unsere Hörer und Leser nichts mehr umtreibt, als diese aktuellen Fragen richtig einzuschätzen. Vielen Dank dafür für deine Position.
Ich habe noch eine Frage zu Deiner deiner Zukunft. Bisher hast Du mit Matthias Onken (ehemals BILD) eine kleine PR-Firma, die ihr in Hamburg betreibt. Wollt ihr das so weitermachen oder muss man das besser ruhen lassen, wenn man so ein Mandat in Berlin übernimmt?
Mein Geschäftspartner Matthias und ich haben uns darauf verständigt, dass ich ab sofort, ab letzten Freitag sozusagen mein Arbeit ruhen lasse.
Ich bin weiterhin Gesellschafterin, das Unternehmen gibt es weiterhin, aber die alleinige Geschäftsführung hat Matthias; sicherlich mit personelle Unterstützung, die er sich dann noch suchen muss. Aber wie gesagt, ich bin aus dieser aktiven Rolle raus.
Noch ein bisschen journalistische Neugierde: Ist das jetzt nur für diese letzte Phase der Legislatur für Dich? Oder wirst du dich wiederum bewerben und erneut kandidieren? Vielleicht noch die ergänzende Frage, eine Kandidatur für den Wahlkreis 21 (HH-Nord und Alstertal), oder für Hamburg Mitte, den ehemaligen Wahlkreis von Johannes Kahrs?
Sofern meine Partei das möchte und die Delegierten mich aufstellen, würde ich sehr gerne wieder für den Bundestagswahlkreis Nord / Alstertal kandidieren.
Offiziell heißt der Wahlkreis Nr. 21.
Ich mache seit 1998 Politik im Hamburger Bürgerschaftswahlkreis, was ja ein Teil des Bundestagswahlkreis ist und spätestens im letzten Bundestagswahlkampf habe ich ihn noch viel besser kennengelernt und möchte mich auch dort sehr gerne wieder zur Wahl stellen.
Das heißt, ich fasse zusammen: Es gibt wahrscheinlich eine zweite Auflage des „Duells“ gegen Christoph Ploss (CDU), und wir sind jetzt schon gespannt, wie das ausgeht. Und wir versprechen uns, dass wir uns zu einem späteren Zeitpunkt, wenn du eingearbeitet bist, noch einmal zu einem Gespräch treffen.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Das ganze Gespräch gibt es als Podcast.